„Postfaktisch“ war das „Wort des Jahres 2016“ und steht für die sogenannte „gefühlte Wahrheit“. Im Englischen hat man schon etwas früher von „post-truth“ gesprochen und wahrscheinlich ist dieses Phänomen auch in anderen Ländern zu beobachten. Mittlerweile geht man sogar schon davon aus, dass in der Politik das postfaktische Zeitalter angebrochen ist (mehr dazu finden Sie hier). Insbesondere im politischen Bereich sind Wahrheiten und Gefühle seit jeher vermischt worden und sind somit nichts Neues. Hier werden immer häufiger sogar von Staatspräsidenten großer Demokratien „alternative“ Wahrheiten benutzt, um Menschen im eigenen Sinne zu beeinflussen und Wahlen zu gewinnen oder um Stimmung zu machen (mehr dazu finden Sie hier). Wahrheit scheint also ein sehr dehnbarer Begriff zu sein. Gibt es so etwas wie eine objektive Wahrheit?
Spezifische Modelle der Welt
Kommunikationspsychologen gehen davon aus, dass Menschen (und alle anderen Lebewesen) die Umwelt nur zu einem sehr kleinen Teil wahrnehmen. Somit unterliegen alle Reize, die über unsere fünf Sinne wahrgenommen werden, einem immensen Informationsverlust. Bestimmte Informationen gelangen so relativ ungehindert ins Bewusstsein – andere hingegen werden ausgefiltert und erst gar nicht wahrgenommen. Die so durch die individuellen Wahrnehmungsfilter gestalteten Informationen schaffen das spezifische Modell der Welt (mehr dazu finden Sie hier).
Wahrnehmungsfilter
Es gibt unterschiedliche Arten von Wahrnehmungsfilter. So gibt es beispielsweise rein physiologische Grenzen der Wahrnehmung. Menschen können aufgrund ihrer Sinnesorgane und deren Aufbau nicht so gut hören wie beispielsweise Fledermäuse oder so gut riechen wie beispielsweise Hunde. Auch individuelle Erfahrungen und überlieferte Glaubenssätze führen dazu, dass bestimmte Wahrnehmungen bevorzugt werden – andere hingegen werden weniger deutlich oder überhaupt nicht beachtet. Diese gefilterten Wahrnehmungen der objektiven Welt verstärken sich sogar selbst, denn wenn bevorzugt bestimmte Informationen herausgefiltert werden, entwickelt sich ein zunehmend gefestigtes Bild von der Welt. Die eigenen Beobachtungen scheinen das Weltbild regelmäßig zu bestätigen. Diese sogenannten Verzerrungen, Tilgungen und Generalisierungen der Wirklichkeit finden also nach Ansicht der Psychologen in jedem von uns statt. Niemand verfügt demnach über alle Fakten, die eine objektive Wahrheit begründen könnten.
Objektivität in der Forschung
Sogar bei der scheinbar objektivsten aller Wissenschaften – den Naturwissenschaften – gibt es den einen oder anderen Zweifel an der Objektivität der Forschung (mehr dazu finden Sie hier). Auch Wissenschaftler sind halt auch nur Menschen und unterliegen der eingeschränkten Wahrnehmung unserer Umwelt wie alle anderen auch. Das postfaktische Zeitalter und alternative Fakten in der Psychologie sind also fester Teil der menschlichen Wahrnehmung.
Was tun?
Das sollte meiner Meinung nach aber nicht der Weisheit letzter Schluss sein und die Würdigung weiterer Fakten und Hintergründe beziehungsweise anderen Meinungen ersetzen und schon gar keine Entschuldigung für manipulative und bewusste Lügen sein. Wenn wir unsere Wahrnehmungsgrenzen kennen und wissen, dass unterschiedliche Welten aufgrund individueller Filter existieren, muss man sich selbst nicht alles glauben und kann die eigenen Ansichten hinterfragen.
Immunisierung
Einige Psychologen schlagen sogar vor, dass man sich auch gegen bewusste Falschinformationen immunisieren kann (mehr dazu finden Sie hier). Nach Ansicht dieser Wissenschaftler reicht es nicht, Fake News als solche zu kennzeichnen. Vielmehr ist bei empirischen Versuchen herausgekommen, dass die Nennung der Informationsquelle beziehungsweise deren Glaubwürdigkeit sehr großen Einfluss darauf hat, was man glaubt oder auch nicht.
Hinterfragen
Das Spiel mit der Wahrheit und der Versuch andere Menschen zum eigenen Vorteil mit gezielten (Fehl-) Informationen zu beeinflussen wird wahrscheinlich nicht so schnell aufhören. Allerdings hat jeder potentiell die Möglichkeit sich bis zu einem bestimmten Grad davor zu schützen, hinters Licht geführt zu werden.
Welche Wahrheiten glauben Sie heute nicht mehr an die sie früher einmal geglaubt haben? Wie überprüfen Sie Informationen auf ihren Wahrheitsgehalt?