Selbstkontrolle und Disziplin – kognitives Muskeltraining

Selbstkontrolle und Disziplin – kognitives Muskeltraining

© De Vries

Selbstkontrolle und Disziplin – diese beiden Begriffe kommen mir in letzter Zeit immer häufiger in den Sinn. Bei meiner Arbeit als Coach für Langzeitarbeitslosen ist sicherlich eines der Hauptprobleme die fehlende Motivation. Während der Coaching-Sitzungen mit diesen Klienten wird mir aber auch sehr deutlich, wie viel Motivation nötig ist, um sich in Bewegung zu setzen und zum x-ten mal die Bewerbung zu korrigieren oder komplett neu zu schreiben. Insbesondere bei Menschen bei denen das mit der Rechtschreibung nicht zu deren persönlichen Stärken gehört und in der Schule auch schon jegliche Motivation fehlte, sich mit diesen Themen auseinander zu setzen. Dazu kommt noch häufig eine schwierige familiäre Situation oder auch Drogen. Das sind alles keine guten Ausgangsbedingungen, um lang eingeübte Trägheitsmuster beziehungsweise den sprichwörtlichen „inneren Schweinehund“ zu überwinden. Sobald es unangenehm wird, ist das große Ziel (einen Job zu haben und Geld zu verdienen) wieder in den Hintergrund gerückt. Ich glaube, die meisten Menschen sind nicht von Natur aus gewillt mehr zu tun als unbedingt nötig ist. Insbesondere wenn das Ziel sehr weit weg erscheint und die Couch, der Fernseher, die Spielekonsole oder das Bett verlockend und immer lauter rufen, dann wird es sehr schwierig, sich doch noch mal an den Schreibtisch zu setzen um zu lernen. In diesen Situationen braucht es dann vielleicht mehr Selbstkontrolle und Disziplin!?

Belohnungsaufschub

Diese Eigenschaften zu haben bedeutet, dass der kurzfristige Lustgewinn zugunsten eines potenziell größeren Gewinns in der Zukunft aufgegeben wird. Man verkneift sich gewissermaßen ein impulsives und rein Lust gesteuertes Verhalten. Diese Fähigkeit zum Belohnungsaufschub und die damit verbundenen positiven Folgen für das Leben wurden tatsächlich experimentell vom Psychologen Walter Mischel nachgewiesen (mehr dazu finden Sie hier). Mischel forschte intensiv auf dem Gebiet der Persönlichkeitspsychologie und versuchte herauszufinden, welche Persönlichkeitsmerkmale sich wie auf das Verhalten auswirken. Eine der fünf erarbeiteten Personenvariablen ist die Fähigkeit zur Selbstkontrolle.

Selbstkontrolle und Disziplin sind erlernbar

Zur Selbstkontrolle fasste Mischel seine wissenschaftlichen Erkenntnisse zusammen, in dem er schrieb: „Ich denke, daher kann ich verändern, was ich bin.“ Das ist durchaus positiv von ihm gemeint, denn das bedeutet, dass Selbstkontrolle und Disziplin von jedem erlernbar sind.

Kognitives Muskeltraining

Die Fähigkeit zum Belohnungsaufschub ist ein wichtiger Schlüssel zum persönlichen und beruflichen Erfolg. Die Frage, die sich direkt anschließt, ist wie man diese kognitive Kompetenz erlernen kann!? Dazu hat die Wissenschaft unterschiedliche Strategien entwickelt. Je nachdem, findet man im Netz eine unterschiedliche Anzahl an Punkten (zwischen 5 und 10), die es zu beachten gilt. Insbesondere aus der Welt des Leistungssports ist Selbstdisziplin sehr zentral. In den Veröffentlichungen wird daher gerne Bezug auf die Wirksamkeit der Maßnahmen in anderen Bereichen genommen, da dies auch im Sport funktioniert (mehr dazu finden Sie hier). Wichtig bei allen Strategien – egal ob fünf oder zehn Punkte zu befolgen sind – ist, dass Disziplin wie ein Muskel trainiert werden kann – man muss natürlich auch wollen.

Selbsterschöpfung

Aber wo sind die Grenzen der Selbstkontrolle? Ist es nicht heute oft zu beobachten, dass zu viel kognitive Kontrolle dazu führen kann, uns irgendwann zu ermüden? Hierzu gibt es auch interessante Experimente vom Sozialpsychologen Roy F. Baumeister (mehr dazu finden Sie hier). Er fand unter anderem heraus, dass zu viel Selbstkontrolle sowie Belohnungsaufschub zu sogenannter „Selbsterschöpfung“ führen kann. Genau wie bei einer zu starken Beanspruchung der Muskeln, kann man offenbar auch durch eine übertriebene Selbstkontrolle ermüden. Disziplin ist nach Baumeister ebenfalls im Umgang mit den modernen Medien nötig. Insbesondere in unserer digitalisierten Welt und er damit verbundenen permanenten Berieselung mit Information sowie einer ständigen Aufmerksamkeitsbereitschaft ist es sehr wichtig, dass man sich in der Disziplin der zeitweisen Entsagung übt, um nicht auszubrennen und für nichts anderes (wie Freundschaft und Familie) mehr Zeit zu haben – beziehungsweise, dass wir uns dann auch nicht mehr auf das Wesentliche konzentrieren können.

Was ist Ihre Einstellung zum Thema Disziplin? Welche Taktiken haben Sie, um Ihren „inneren Schweinehund“ zu überwinden?