Schuld und Scham – wofür Menschen sie brauchen

Schuld und Scham – wofür Menschen sie brauchen

© De Vries

Vor einiger Zeit belegte ich ein tolles Urlaubsseminar bei ISC Finger in Griechenland mit dem offiziellen Titel Die Kraft der Freiheit. Das klang für mich positiv motivierend und relativ harmlos. Als ich aber den inoffiziellen Namen Schuld und Scham hörte, dachte ich: „Wow – das wird heftig“. Ich malte mir sofort aus wie ich höchst peinliche Situationen aus meinem Leben vor versammelter Mannschaft hätte preisgeben müssen. Mir wurde sehr mulmig zumute und ich überlegte mir schon mal Strategien wie ich aus diesen unangenehmen Situationen möglichst „unbeschadet“ für meine Seele herauskommen kann.

Nur Menschen empfinden Scham

Das Gefühl der Scham ist im Allgemeinen sehr unangenehm. Je mehr wir uns beispielsweise dagegen wehren ein deutliches Zeichen der Scham – das Rotwerden – zu zeigen, desto eher werden wir rot. Dann wollen wir am liebsten im Boden versinken oder unsichtbar sein. Aber wie ich gelernt habe, ist Scham nicht nur normal und gehört bei nahezu jedem zum Leben dazu sondern sie erfüllt sogar eine wichtige evolutionäre Funktion. Scham können offensichtlich nur Menschen empfinden, Tiere sind dazu nicht in der Lage. Das Erröten beim Menschen ist kein erlerntes – sondern eine angeborenes Verhalten. Das hat Charles Darwin bereits in seinem Buch „Der Ausdruck von Gemüthsbewegungen beim Menschen und den Thieren“ beschrieben.

Regulierungsfunktion

Zudem ist das Schamempfinden sehr wichtig für das Entstehen sozialer Strukturen. Das Schamgefühl hat nach Meinung der Wissenschaft entscheidend zur Entwicklung des Menschen als soziales Wesen beigetragen (mehr dazu finden Sie hier). Gäbe es den Anderen nicht, dann gäbe es auch keine Scham. Wir schämen uns nämlich dann wenn wir uns davor fürchten, wegen eines echten oder vermeintlichen Regelverstoßes sozial isoliert zu werden. Scham erfüllt also eine Art Regulierungsfunktion ohne die es kein soziales – und mitfühlendes Zusammenleben geben würde. Eine überwiegend schamlose Gesellschaft würde also nicht lange funktionieren.

Reaktionen der Mitmenschen

Interessanterweise haben Forscher außerdem herausgefunden, dass Menschen die sich für ihr Verhalten schämen und dies auch zeigen, von ihren Mitmenschen nicht isoliert werden, sondern viel mehr Unterstützung, Mitgefühl und Sympathie von ihnen bekommen. Dahingegen wird schamloses Verhalten häufig mit Unverständnis und Ablehnung quittiert.

Bewusste Regelverstöße

Im sogenannten „post-faktischen Zeitalter“ (mehr dazu finden Sie hier) wird sich offensichtlich immer weniger geschämt. Soziale Normen werden sogar bewusst verletzt, um Wahlen zu gewinnen oder materiellen Reichtum zu erlangen. Scham – so scheint es – verliert immer mehr seine Bedeutung und somit seine Disziplinierungsfunktion. Es gibt auch Wissenschaftler wie beispielsweise Brené Brown, die dazu aufrufen die eigene Scham zu bekämpfen, Regeln zu brechen und so die „Zwangsjacke“ der Scham abzulegen.

Wie denken Sie über Schuld und Scham? Worüber schämen Sie sich?