Realität reloaded: Was wir erleben und wie wir es erinnern

Realität reloaded: Was wir erleben und wie wir es erinnern

© De Vries

Tilgen, Verzerren, Generalisieren – Drei „Strategien“, wie sich Menschen in der alltäglichen Kommunikation die Welt so zurecht biegen, dass sie selbst in einem guten oder zumindest besseren Licht dastehen als Personen in ihrer Aussenwelt.

Beispiel für Tilgen und Verzerren:

A : „Die Polizei hat mein Leben ruiniert!“

B: „Oh, wieso dass denn?“

A: „Die haben mir den Lappen abgenommen!“

B: „Ach! Wieso das denn?“

A: „Ich bin zu schnell gefahren!“

B: „Oh, dann hast Du also selbst Dein Leben ruiniert, indem Du Dich nicht an die Verkehrsregeln gehalten hast und jetzt nicht mehr selbst zu Deinen Kunden fahren kannst…“

A: *schweigt*

A hat in der ersten Aussage wichtige Informationen in der Kommunikation mit B getilgt, die den wahren Hintergrund transparent gemacht hätten. Nur durch Nachfragen hat B mehr erfahren und dabei auch herausgefunden, dass A mit seiner Aussage nicht nur die Strategie Tilgen eingesetzt hat, sondern das Ereignis auch dahingehend verzerrt hat, dass er sich als Opfer und die Polizei als Täter darstellt.

Beispiel für Generalisieren:

A: „Immer muss ich auf Dich warten!“

B: „Immer?“

A: „Ja, immer!“

B: „Verstehe ich Dich richtig, Deiner Meinung nach musst Du  I M M E R  auf mich warten? Immer?“

A: „Naja, nicht i m m e r immer, aber es kommt schon an und zu vor!“

Durch das Wort „immer“ generalisiert A etwas, was er auf Nachfrage dahingehend entschärft, dass es „nur“ ab und zu vorkommt.

Was diese beiden Beispiele und die dabei angewendeten Strategien zeigen ist, dass Menschen offenbar dazu neigen, das einmal Erlebte dann in der Erinnerung anders darzustellen und zu modellieren. Die Gründe hier können immens vielschichtig sein. Es sind Strategien der Realitätsverzerrung, die vordergründig zwar dazu beitragen, dass man sich aus der Selbstveranwortung glaubt ziehen zu können, als armes Opfer dazustehen oder als Held.

Dabei sind wir beim Anwenden dieser Realitätsverzerrungsstrategien Täter gegenüber uns selbst. Ein anderes Beispiel, um dies zu verdeutlichen.

Person A verbringt einen Abend in einem exklusiven Restaurant. Vom Ambiente und dem freundlichen, aufmerksamen Service ist A überwältigt. Die Suppe, die es in der Vorspeise gibt ist ein absoluter Gaumenschmaus, das Hauptgericht ist perfekt zubereitet und zergeht A auf der Zunge. Jede Sekunde dieses Erlebnissen ist von Glück und Zufriedenheit durchströmt. Dann wird der Nachtisch serviert, A nicht schmeckt, weil er kein Lebkuchen-Parfait mag.

Am nächsten Tag erzählt A seinem Freund B von seinem Abend im Restaurant:

B: „Und wie war es denn gestern?“

A: „Also das Essen war nicht so toll. Haben die doch tatsächlich Lebkuchen-Parfait zum Dessert gereicht! Finde ich total ekelig“.

Obwohl also A von Anfang an einen rundum perfekten Abend *erlebt* und alle Genussreize voll ausgekostet hat im Moment des Erlebens hat, wird der Abend in der Erinnerung ganz anders wahrgenommen. Der Fokus liegt hier nur noch auf dem, was nicht gut war, die vielen positiven Erlebnisse davor und danach werden ausgeblendet. Paradox, dass das Erlebte und das Erinnerte wie zwar komplett verschiedene Ereignisse behandelt werden.

Daniel Kahnemann hat zu diesem Paradox in der Video-Reihe TED einen sehenswerten Vortrag gehalten.

Mehr zu den Kommunikationsstrategien und Mustern der Realitätsverzerrung erfahren Sie in der Ausbildung Systemisches Coaching, Kommunikation & Konfliktmanagement am ISC Finger.