„R“ – Rationalisierung und Selbsterkenntnis

Rationalisierung und Selbsterkenntnis

© De Vries

Wenn einem die wahren Motive für ein bestimmtes Handeln nicht annehmbar erscheinen und dafür (scheinbar) rationale Argumente genannt werden, sprechen die Psychologen von einer sogenannten „Rationalisierung“ (mehr dazu finden Sie hier). Die tatsächlichen Beweggründe für das Handeln müssen gewissermaßen vor sich selbst aber auch vor den anderen verschleiert werden. Sie erscheinen dermaßen inakzeptabel, dass sie schlichtweg nicht sein können, weil sie nicht sein dürfen. Diese Form der Selbsttäuschung ist vermutlich die am häufigsten auftretende Form (mehr dazu finden Sie hier). Aber auch wenn wir uns etwas einreden und unbedingt daran glauben wollen, ist dies eine Selbsttäuschung. In der Entwicklungsbiologie gehen Forscher davon aus, dass sowohl im Tierreich aber auch bei den Menschen in gewisser Weise der Selbstbetrug sowie der Betrug des anderen ein natürlich auftretendes Phänomen ist und dem Erhalt der Art dient.

Abwehrmechanismus des Über-Ichs

Kognitive Verzerrungen durch Rationalisierung werden hingegen in der Psychoanalyse als Abwehrmechanismus des „Über-Ichs“ gegen unerwünschte Bedürfnisse und Triebe verstanden. Sigmund Freud spricht hier von sogenannter „Ersatzbildung“ (mehr dazu finden Sie hier). Rationalisierungen sollen hier Spannungszustände quasi durch kognitive Surrogate abmildern helfen. Die Auflösung von Rationalisierungen ist eine zentrale Aufgabe der psychoanalytischen Therapie. Ergebnis des Prozesses einer aufrichten Selbsterkenntnis sollen authentisches Handeln und Denken sein.

Erkenne Dich selbst

Auch bereits im antiken Griechenland gab es offensichtlich eine allgemeine Tendenz zur Selbsttäuschung. Über dem Eingang des Apollotempels in Delphi stand daher nicht ohne Grund „Erkenne Dich selbst!“ (mehr dazu finden Sie hier). Dies ist dann auch die zentrale Grundsatzfrage der antiken und modernen Philosophie geworden. Viele berühmte Philosophen haben versucht, darauf eine Antwort zu geben beziehungsweise den Wesen der Menschheit zu ergründen. Echte Freiheit ist nach Meinung vieler dieser Philosophen nur möglich, wenn wir unsere wahren Motive erkennen uns nichts mehr vormachen würden. Selbsttäuschungen führen ihrer Ansicht nach immer weiter in den Selbstbetrug. Die echten Motive blieben nach Meinung der Stoiker dadurch unbeachtet und die Menschen würden sich dadurch immer weiter weg von ihrer wahren Natur entfernen. Irgendwann ist eine Rückkehr zur wahren Natur schwierig, denn diese ist weitgehend in Vergessenheit geraten.

Wie sieht es bei Ihnen aus? Sind Sie Ihren Selbsttäuschungen und Rationalisierungen auch schon auf die Spur gekommen? Wo machen Sie sich eventuell noch etwas vor wo nicht (mehr)?