Kürzlich ist es wieder passiert: Eine Putzfrau in Mannheim entsorgte Kunst im Müll (mehr dazu finden Sie hier). Die Künstlerin war zuerst geschockt über die Zerstörung ihres Werkes. Ihrer Ansicht nach waren „die am Boden festgeklebten Folien skulptural so geformt gewesen wie Zuflucht suchende Menschen und als Einheit deutlich zu erkennen“.
Ein Angriff auf die Kunst?
Etwas Ähnliches ist schon öfter passiert. Viele kennen noch die Geschichten um die Beschädigung von Kunstwerken von Joseph Beuys. Da wurde eine Wanne zum Spülen von Sektgläsern missbraucht und die „Fettecke“ kurzerhand im Putzeimer entsorgt.
Wie kommt es nun, dass diese Kunstwerke nicht als solche erkannt wurden? War das ein bewusster Angriff auf den Künstler, das Kunstwerk oder gar auf die (moderne) Kunst? Aus Sicht der Künstler (wie z.B. im Mannheimer Fall) ist diese Vermutung gar nicht so abwegig. Sie betrachten die Welt eben aus den Augen eines Künstlers. Für sie spielt Kunst eine sehr zentrale Rolle. Kunst ist ein wichtiges Instrument für sie, sich mit der inneren Welt auseinanderzusetzen und in Austausch mit der äußeren Welt zu treten. Nach Beuys ist Kunst sogar das „wahre Kapital menschlicher Fähigkeiten“ (mehr dazu finden Sie hier). Für die Reinigungskräfte sieht die Welt offenbar anders aus.
Was für die Einen offenbar ein Kunstwerk ist und wofür mitunter ein Vermögen bezahlt wird, ist für den Anderen sprichwörtlich nur Müll oder eine Möglichkeit schmutzige Gläser zu spülen. Woher kommt das? Sehen wir mit unseren Augen nicht alle das Gleiche (in diesem Fall ein Kunstwerk)? Wie kommen diese großen Unterschiede in der Wahrnehmung zustande?
„Meine Welt“ ist nicht „Deine Welt“
Eine Erklärung für dieses Phänomen könnte die Theorie über die sogenannten „Wahrnehmungsfilter“ sein. Die Wahrnehmung der äußeren Realität bzw. Umwelt wird nach den Erkenntnissen von Kommunikationsforschern sehr stark durch diese Filter beeinflusst. Als Ergebnis entstehen in jedem von uns (mehr oder weniger) unterschiedliche Welten. Die Forscher unterscheiden dabei grundsätzlich drei unterschiedliche Filter:
- „Neurologische Filter“ (die haben etwas mit unseren neurologischen Möglichkeiten zu tun, was wir von der physikalischen Umwelt überhaupt wahrnehmen können),
- „Sozio-Kulturelle Filter“ (das sind sogenannte Muster , die aufgrund unserer kulturellen – und sozialen Prägung entstehen),
- „Individuelle Filter“ (entstehen aufgrund unserer persönlichen Erfahrungen).
Betrachtet man nun diese Filter und ihre Wirkung bei der Verarbeitung von Informationen der äußeren Welt so wird schnell deutlich, dass wir alle letzten Endes in unseren individuellen Welten leben. Neben rein physischen Einschränkungen bzw. Begabungen sind dabei unsere Sozialisation und unsere Erfahrungen sehr entscheidend.
Alles nur ein „Missverständnis“
Die „mutwillige Zerstörung“ von Kunst ist also häufig nichts weiter als ein Missverständnis. In der Welt der Putzfrau in Mannheim sind auf dem Boden geklebte Folien eben nur Müll – und der muss entsorgt werden.
Nach der ersten Aufregung über den Eingriff in ihre Arbeit hat die Künstlerin das Beste aus dem Malheur gemacht und die Mülltonnen mit den abgerissenen Folien in ihr Werk integriert. Es wird bestimmt interessant zu beobachten, wie dieses neue Kunstwerk wahrgenommen wird.
Haben Sie auch die Erfahrung gemacht, dass wir alle in unterschiedlichen Welten leben? Was könnte man tun, um den anderen besser zu verstehen?