Das Riechen und der „Proust-Effekt“

Das Riechen und der „Proust-Effekt“

© De Vries

Über die Geruchsorgel bzw. den „Smeller“ (mehr dazu finden Sie hier) hatte bereits in einem früheren Blog geschrieben. Mit diesem Kunst-Projekt von Wolfgang Georgsdorf wird versucht, über das sogenannte Geruchskino ein ganzheitliches – und nicht nur ausschließlich visuell-akustisches Sinnes-Erlebnis zu schaffen. Der Mensch ist kein reines Augen- und Ohrentier, auch wenn es uns in der digitalisierten Welt manchmal so zu sein scheint. Früher, als ich es noch nicht besser wusste, habe ich mir vorgestellt, auf welchen Sinn ich am ehesten verzichten könnte – das Sehen oder das Hören? In diesem Gedankenspiel dachte ich damals, dass das Augenlicht zu verlieren das Schlimmste überhaupt sei. Dabei kamen zwei Sinne in diesen (zugegebenermaßen etwas kruden) Fantasien überhaupt nicht vor: Riechen und Schmecken. Beides hängt eng zusammen und wird offensichtlich immer noch weit unterschätzt. Es gibt noch nicht einmal einen eigenen Begriff dafür, wenn man nichts mehr riechen kann (geruchsblind?). Dem Zeit-Autor Andreas Bock ist aber genau dieses Schicksal wiederfahren und er beschreibt in seinem Artikel wie es sich anfühlt, wenn man nichts mehr riechen – bzw. keine Aromen mehr schmecken kann (mehr dazu finden Sie hier).

Verknüpfung mit Gefühlen

Manche Zeitgenossen meinen es könne sogar eine Erleichterung sein, keine unangenehmen Gerüche – wie einige Großstadt-Aromen mehr riechen zu müssen. Dennoch bedeutet es tatsächlich eine enorme Einschränkung der Lebensqualität nichts mehr riechen bzw. schmecken zu können. Das Leben selbst wird fader und uns entgehen rein rechnerisch 2/5 aller für uns möglichen Sinneseindrücke. Unsere Gefühle sind außerdem sehr stark mit Gerüchen verbunden. Wir alle kennen den Spruch und das damit verbundene Gefühl: „Den oder die kann ich nicht riechen …“. Das Erinnerungen und damit verbundene Gefühle stark mit Gerüchen verbunden sind, hat die niederländische Wissenschaftlerin Marieke Toffolo in einem Experiment nachgewiesen (mehr dazu finden Sie hier). Demnach erinnern wir uns an bestimmte Situationen die emotional aufgeladen sind wesentlich detailgetreuer, wenn sie mit einem bestimmten Geruch verbunden.

Der „Proust Effekt“

Die uns umgebenen Gerüche sind ein besonders starker Anker und sie können jederzeit Erinnerungen an Situationen und Gefühle hervorrufen, die schon sehr lange zurückliegen. Somit sind Gerüche ein Schlüssel in unsere Vergangenheit. In der Literatur hat dies sehr eindrucksvoll Marcel Proust in seinem Roman „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ beschrieben. Seitdem nennt man diesen Effekt auch den „Proust-Effekt“.

Das Gefühl von Heimat

Mit Gerüchen verbindet man Erinnerungen an bestimmte Menschen und Situationen. Mit Duft wird aber auch das Gefühl von Heimat oder Zuhause verknüpft. Ich selbst fühlte mich damals, nach einem längeren Auslandsaufenthalt in Asien von meinen Emotionen überwältigt, als ich das erste Mal wieder durch den heimischen Wald ging. Dieser spezielle Waldgeruch hat sich mir dermaßen tief eingeprägt, dass ich ihn ganz stark mit dem Gefühl von Heimat verbinde.

Bewusster riechen

Der häufig vernachlässigte Sinn des Riechens und Schmeckens könnte uns wieder etwas bewusster werden – auch im Hinblick auf ein glücklicheres und erfüllteres Leben. Rückblickend wird Bock in seinem Artikel deutlich, wie wenig er sich des Wertes von Gerüchen und Aromen bewusst Bock war als er noch riechen konnte. Was ihm noch bleibt, ist die Erinnerung und die Hoffnung auf eine Spontanheilung.

Wie bewusst sind Sie sich ihres Geruchs- bzw. Geschmackssinnes? Welche Kindheitserinnerungen verknüpfen Sie mit welchen Gerüchen?